Adventfenster 24

EINE ETWAS ANDERE WEIHNACHTSGESCHICHTE...

Auf dem Weg vom Schönbrunner Tiergarten nach Hause musste ich längere Zeit am sogenannten Schottentor auf meine Straßenbahn warten. Ich kann mit Kinderwagen nämlich nur gut in die neuen Straßenbahnen einsteigen. Normalerweise kommt immer abwechslungsweise eine alte und dann eine neue Garnitur. Heute waren es lustigerweise zwei alte Straßenbahnen hintereinander. So bin ich gut eine halbe Stunde auf einer Bank gesessen und habe inmitten vieler Menschen gewartet. Mitten im Getriebe einer Großstadt Menschen zu beobachten, kann sehr spannend sein. Manchmal frage ich mich, welche Geschichte, welche Lebenserfahrung wohl hinter dem einen oder anderen steckt. Und dann bemerke ich sehr oft, wie sich schon beim Anblick eines Menschen manche Schlagwörter in meinem Kopf festsetzen wollen, sich dort einen fixen Platz suchen, so als ob ich wüsste, was hinter diesem Menschen steckt. Es ist ein übliches Spiel, dem wir alle immer wieder „auf den Leim gehen“. Wir sehen jemanden und verknüpfen schon im nächsten Moment manche Erfahrungen, Erkenntnisse, Erzählungen, Meinungen miteinander zu einem fixen Bild. Unglaublich oder? Noch bevor jemand etwas zu uns sagt, fangen wir bereits an, das Gegenüber zu kategorisieren, in eine Schublade zu stecken, die wir je nach Aufschrift entweder gerne öffnen oder nur sehr widerwillig oder am besten gar nicht. Es ist klar, wir besitzen viele Sensoren, die schnell und gut funktionieren müssen, um uns manchmal zu warnen oder zu schützen. Jeder von uns besitzt die Fähigkeit, intuitiv etwas wahrzunehmen, noch vor Einsetzen des kopflastigen, vom Verstand geprägten Denkens.

Nun gut, ich saß also an diesem warmen Sommertag auf dieser Bank. Meine Tochter war inzwischen schon im Kinderwagen eingeschlafen, die vielen tollen Eindrücke im Zoo und das Laufen hatten sie müde gemacht. Neben mir saß zuerst nur eine Frau.  Zwischen uns setzte sich plötzliche ein Mann so um die fünfzig, mit Tätowierungen und einem Schlägerarmband. Er wirkte nicht vollkommen ungepflegt, aber trotzdem etwas „verwildert“. Die Frau stand sofort auf und ging weg. Ich war irgendwie ganz in Gedanken versunken, als er zu mir sagte: „Kinder, Frauen und Tiere muss man lieben!“ Das war offenbar sein Versuch, mit mir ins Gespräch zu kommen. Und irgendetwas an ihm veranlasste mich, ihm wirklich zuzuhören, mit ihm zu kommunizieren. Ich weiß nicht, ob es der Klang seiner Stimme war, eine bestimmte Gestik oder Mimik, die vertrauensvoll wirkte. Irgendetwas an ihm löste in mir den Impuls aus, mich nicht abzuwenden, sondern mich auf ihn in diesem Augenblick einzulassen.

Er erzählte mir in kurzer Zeit einiges. Gerade heute hatte er einem 35jährigen Mann drei „Watschen“ versetzt, weil dieser „einfach so zum Spaß“ einem 12jährigen Mädchen das Eis weggenommen hatte. „Wissen Sie, ich gehöre zu einer Gruppe von Rockern, aber eigentlich sind wir friedlich“, sagte er. „Nur wenn ich sehe, dass Unrecht geschieht, kann ich mich nicht zurückhalten. Ich weiß, dass ich die Polizei hätte rufen sollen. Ich weiß, dass das auch nicht richtig ist, was ich gemacht habe, aber ich kann da einfach nicht zuschauen….“ Er hat mich dann auch gefragt, ob ich aus Wien sei und wie es mir hier gefiele. Er erzählte dann noch etwas: „Ich habe auch eine Zeit in Innsbruck gelebt und mich dort sehr wohl gefühlt. Dort ist mir etwas passiert, was mir wirklich die Tränen in die Augen trieb. Aus Freude. Eine Frau, die nichts von mir wusste, hat mich gesehen und gemeint, ich könne bei ihr wohnen, einfach so. Das ist mir noch nie passiert. Ich hätte der Frau nie etwas getan, bzw. nichts von ihr gewollt. Ich hatte so also eine schöne Wohnung und wunderbare Erinnerungen an Innsbruck. Hier gefällt es mir nicht so gut, aber es ist trotzdem ok.“ Er ist nach wenigen Minuten wieder gegangen. Vorher hat er sich noch bei mir bedankt, dass ich nicht weggegangen bin und ihm zugehört habe. Wir haben uns gegenseitig noch alles Gute gewünscht.

Ich hatte in meinem Leben schon die unterschiedlichsten Begegnungen. Ich frage mich in solchen Situationen sehr oft, was mir dieser Mensch gerade mitteilen sollte, warum mir ausgerechnet dieser Mensch jetzt gegenüber stand oder saß.

Ich habe durch ihn wieder einmal erfahren, wie wertvoll es für jemanden sein kann, sich Zeitzu nehmen, jemandem zuzuhören, ihm einfach ein Gefühl des respektvollen Miteinanders auf dieser Welt zu schenken. Oft verbirgt sich dahinter viel mehr, als wir vermuten können. Manchmal scheinen gerade oft Menschen, die etwas anders sind, die nicht so ins Schema passen, ein weitaus größeres Gespür für eine bewusste Lebenshaltung zu entwickeln.

Ich habe mich auch gefragt, wie viele Menschen mitten im Stadtzentrum wohl beobachtet haben, dass ein Mann einem Mädchen einfach ein Eis wegnimmt, etwas, das ihm nicht gehört, er aber meint, es haben zu müssen und es sich einfach holt. Ist es heute nicht auch in vielerlei Beziehung „en vogue“ sich das zu holen, was man glaubt, haben zu müssen…für die Karriere, für einen besseren Status, für gesellschaftliche Anerkennung, für ein luxuriöseres Leben? Und wie oft werden dabei verschiedenste Machtstrukturen ausgenützt bzw. missbraucht? Kann es sein, dass es unserer feinen Gesellschaft oft an einem ehrlichen Gewissen mangelt und dies den Umgang miteinander immer mehr erschwert, im Sinn eines achtsamen Miteinander verschlechtert?

Wie oft stehen wir irgendwo mitten im Geschehen, im Beruf, in der Familie, im Alltag und sehen, dass jemandem Unrecht geschieht und bleiben trotzdem abseits, so ganz nach dem Motto: „Das geht mich nichts an! Das betrifft mich nicht!“ Es geht nicht darum, dem anderen „drei Watschen“ zu erteilen. Es gibt auch andere Möglichkeiten, jemanden zu unterstützen, zu stärken und zu helfen, das Unrecht wieder in gewisser Weise gut zu machen.

Vielleicht ist ja gerade Weihnachten eine Möglichkeit, manches neu zu sehen, anders zu handeln, ein Mensch zu sein, der die Geburt Christi unter dem Aspekt sieht, dass Gott die Liebe unter den Menschen stärken wollte, dass er uns manchen Weg offenbaren wollte, wie dies besser möglich wäre.

 

Ich wünsche dir ein liebevolles Weihnachtsfest mit vielen strahlenden Momenten des kleinen Glücks, die dem Herzen entwachsen und unzählige Möglichkeiten besitzen, um ständig zu wachsen und prachtvolle Blüten zu bilden!

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