Der glückliche Seestern und ein besonderer Tag

Es war an einem wunderschönen Sommertag, als der kleine Seestern beschloss, seine Freundin Lina, eine Muschel, zu besuchen. Er wollte ein wenig mit ihr zwischen den Korallen Verstecken spielen und eine kleine Sandburg bauen. Er liebte es, sich die Zeit mit ihr zu vertreiben. Sie war so lustig und unkompliziert, war immer neugierig darauf, Neues zu entdecken und überhaupt nicht ängstlich, wie er das von anderen Mädels gewohnt war. So erkundeten die zwei immer wieder neue, unbekannte Gebiete und erlebten so manches Abenteuer dabei. Wie gut, dass das ihre Eltern nicht wussten…

Der kleine Seestern gab schnell seiner Mama Bescheid, damit sie sich keine Sorgen machte und schwamm fröhlich pfeifend davon. Lina wohnte nur ein paar Minuten von ihm entfernt, gemeinsam besuchten sie auch die Meereszwergenschule am anderen Ende des Riffs. Dort hatten sie sich auch kennen gelernt und saßen seit jenem ersten, unvergesslichen Zusammentreffen gemeinsam in der zweiten Reihe. Lehrer Tintenfisch hatte stets ein wachsames Auge auf die beiden, weil sie immer wieder vor lauter Tratschen und Kichern recht unkonzentriert waren und manche seiner Anweisungen deshalb überhörten. Der kleine Seestern und Lina hatten sich einfach sooo viel zu erzählen, ständig mussten dem anderen wissenswerte Dinge übermittelt werden und das lange Stillsitzen in der Schule war schon sehr schwierig. Beide lernten aber fleißig und so drückte Lehrer Tintenfisch manchmal ein Auge zu.

Plötzlich entdeckte der kleine Seestern etwas Funkelndes am Sandboden. Was war denn das? Er überlegte. So etwas hatte er hier noch nie gesehen. Eigentlich sah es aus wie eine Perle, nur war die Farbe nicht wie gewöhnlich hell, sondern dunkel und mit einem grün schillernden Glanz. Der kleine Seestern war ganz entzückt. Vorsichtig tastete er mit einem Finger danach. Schließlich konnte er nicht sicher sein, dass sich darunter irgendein Lebewesen verbarg, das er womöglich erschrecken würde. Aber es tat sich nichts dergleichen. Es fühlte sich wirklich so an wie eine Perle. Sie schien auch niemandem zu gehören, einsam und verlassen lugte sie zwischen unzähligen Sandkörnern hervor.

Da kam dem kleinen Seestern eine Idee. Er würde diese glänzende, wunderschöne Kugel mitnehmen. Wer weiß, ob er jemals in seinem Leben noch so etwas Schönes finden würde. Gesagt, getan, ganz vorsichtig verstaute er die Kugel in einem Seitenfach seines Rucksacks und schwamm dann weiter. Er war ganz aufgeregt. Was Lina wohl dazu sagen würde?

Diese wartete offenbar schon sehnsüchtig auf ihn und schwamm in kleinen Runden um ihren gemeinsamen Treffpunkt, eine einzelne, alte Koralle. Sie winkte ganz eifrig, als sie ihn kommen sah und schwamm ihm entgegen. „Super, dass du endlich da bist!“, rief sie, „ich habe heute neue Korallen in der Nähe entdeckt, wo man sich super verstecken kann. Komm schnell, dann zeig ich sie dir.“ Und schon machte sie kehrt und schwamm eilig voraus.

Der kleine Seestern war ganz verblüfft über ihren stürmischen Empfang, kam gar nicht zu Wort und hatte wirklich Mühe, ihr zu folgen, weil sie ein absolutes Rekordtempo vorlegte. Lina schien so aufgeregt zu sein, das musste wirklich ein besonderer Platz sein. Nach einigen Minuten kamen sie an und mussten beide erstmal in Ruhe verschnaufen…

Dann erst nahm der kleine Seestern wahr, was sich ihm darbot. Ein unglaubliches Bild an Einzigartigkeit versetzte ihn in Staunen. Wow! War das schön hier! Es gab Korallen in den unterschiedlichsten Farben und Größen. So hatte sich der kleine Seestern immer das Zauberland vorgestellt, das in einer Gute-Nacht-Geschichte vorkam, die ihm seine Mutter manchmal vorlas. Ja, genau so. Richtig bunt, schillernd und ein wenig mystisch, ein richtiges Zauberland eben. Der kleine Seestern bekam richtiggehend Herzklopfen. Es fehlten ihm die Worte. Als er nach links blickte, entdeckte er zudem auch noch eine zarte, pastellfarbene Seeanemone. Bisher hatte er sie nur in Büchern gesehen, noch nie in freier Natur. Sie wirkte so anmutig, so edel.

Langsam rannen dem kleinen Seestern zwei Freudentränen über die Wangen. Er war in diesem Moment über alle Maßen glücklich, glücklich wie nie zuvor. Erst jetzt drehte er sich langsam zu Lina um, die ihn schon die ganze Zeit über still betrachtet hatte, und sagte überwältigt: „Mein Gott, ist das schön hier! Das ist der beeindruckendste Platz, den ich je in meinem Leben gesehen habe.“ Dann umarmte er Lina ganz fest und meinte: „Tausend Dank, Lina, dass du mir dieses Paradies hier gezeigt hast! Du hast mich damit unendlich glücklich gemacht!“. Lina strahlte ihn mit ihren liebevollen Augen an. Worte waren in diesem Moment überflüssig. Lina hatte ihm den wundervollsten Platz der Erde gezeigt und dieses Geheimnis mit ihm geteilt, das machte ihn sehr stolz, es bedeutete ihm sehr viel. Es war ein zusätzlicher Beweis dafür, wie nah sie sich standen, wie wichtig sie sich waren. Sie hatten gemeinsam die Freude über ein Wunder geteilt, sich offen ihre Gefühle gezeigt.

Just in dem Moment fiel dem kleinen Seestern ein, dass er ja auch noch eine Besonderheit in seinem kleinen Rucksack versteckt hielt. Er sagte zu Lina: „Weißt du, ich habe auf dem Weg zu dir auch etwas Kostbares gefunden. Ich bin schon gespannt, was du dazu sagst.“ Er kramte in seinem Rucksack und holte die glänzende Kugel hervor. Linas Augen wurden immer größer und größer, ein Ausdruck des Staunens huschte über ihr Gesicht. „Oh, ist das schön!“ rief sie, „was ist das?“.

Der kleine Seestern erzählte kurz von dieser Begebenheit. Lina streckte ihre Hände aus und befühlte ganz vorsichtig dieses Kleinod an Schönheit.

Da hörten sie eine Stimme: „Na, was macht denn ihr zwei Süßen hier?“ Vor lauter Schreck ließ der kleine Seestern die Kugel fallen und blickte um sich. Nach ein paar Sekunden entdeckte er einen Anemonenfisch, der ein wenig aus seinem Versteck lugte. Dieser schien ein freundlicher, vertrauenswürdiger Artgenosse zu sein. Der kleine Seestern verließ sich in solchen Fällen immer auf sein Bauchgefühl, schon seine Oma hatte ihn gelehrt, dass es gut und wichtig war, seinen Instinkten zu vertrauen.

Also begann der kleine Seestern vom Fund der sonderbaren Kugel zu berichten. Langsam kam der Anemonenfisch aus seinem Versteck und gesellte sich zu den beiden. Er hob die Kugel auf, lächelte und sagte zu ihnen: „Wisst ihr, das ist eine ganz besondere Perle. Sie ist das Herzstück einer speziellen Gattung von Muscheln, die nur in speziellen Regionen vorkommen, weit weg von hier. Es gibt deshalb auch nicht so viele davon. Diese Perlen wachsen im Inneren dieser Muscheln ganz langsam und mit viel Liebe heran. Alle Gefühle dieser Muschel sind in dieser Perle eingefangen -vor allem Liebe, Glück und Harmonie, aber auch Trauer, Zweifel und Ängste- also wirklich alle Gefühle, die jedes Leben begleiten, die wichtig sind, um jedes Lebewesen einzigartig und unverwechselbar zu machen. Gefühle sind nicht nur einfach da, nein, sie sind auch unser wichtigstes Kraftzentrum, um den Stürmen des Lebens ruhig und gelassen begegnen zu können und sind die bedeutendsten Brückenbauer von Herz zu Herz, von Lebewesen zu Lebewesen. Diese Perle ist aber gerade deshalb so besonders wertvoll, weil über allen Gefühlen stets die Hoffnung steht, das Vertrauen und der Glaube daran, mit Liebe alles im Leben meistern zu können. Deshalb ziert diese Perle auch dieser wundervolle grünliche Schimmer, damit niemand auf die Hoffnung vergisst, die die Liebe immer begleitet. Also passt gut auf diese Perle auf und schaut sie immer wieder an, sie wird euch immer daran erinnern, wie wichtig es ist, Gefühle zuzulassen, zu leben, in Liebe glücklich zu werden."

Mit diesen Worten und einem liebevollen Blick auf die zwei staunenden Freunde verabschiedete sich der Anemonenfisch und verschwand wieder in seinem Zuhause.

Der kleine Seestern und Lina verweilten noch ein wenig in nachdenklicher Ruhe und bestaunten die besondere Perle. Viele Gedanken schwirrten in ihren Köpfen…

Nach einer Weile sagte der kleine Seestern ganz leise zu Lina: „Ich möchte dir diese Perle schenken. Zum einen, weil du meine beste, liebste  Freundin und wundervollste Begleiterin bist, zum anderen, weil du mir heute dein schönstes Geheimnis gezeigt, mich damit unendlich reich im Herzen gemacht hast und ich jetzt auch mit dir meinen besonderen Moment teilen möchte.“

Jetzt war es Lina, der ganz langsam Freudentränen über die Wange rollten. Sie strahlte vor Glück und Begeisterung. Der kleine Seestern umarmte seine Freundin ganz fest. Beide wussten, dass sie die Wunder dieses Tages immer in Erinnerung behalten würden, dass dieser Tag kostbar und unwiederbringlich in seiner Einzigartigkeit das restliche Leben überstrahlen würde.

zurück